Überall schießen aktuell Coaches, Berater*innen und Trainer*innen aus dem Boden und versprechen DIR (ja, häufig FETT und GROß geschrieben) XY federleicht zu erreichen. NUR 3 Schritte bis du 10 k im Monat verdienst, alle deine Probleme los wirst oder mit Leichtigkeit Zufriedenheit und Gelassenheit in dein Leben integrierst.
Eigentlich klingt das ja gar nicht so schlecht. Dennoch ist dieser sich verbreitende Ansatz irgendwie unschön gefärbt und in meinem Empfinden mit einen faden Beigeschmack durchzogen. Ganz nebenbei wird nämlich eine Hierarchie hergestellt, die den Coachie, oder die Klient*in in eine Opferidentität pressen. Der Coach als große*r Retter*in legt unbewusst nahe, dass ohne ihn oder sie ES, also das Thema selbstständig eh nicht gebacken bekommt.
Jetzt bin ich kein Freund von Hierarchiefreiheit oder ein “Sich im Coaching immer auf Augenhöhe begegnen.” Immerhin sucht der Coachie eine professionelle NEUE Perspektive in Bezug auf seine oder ihre jeweiligen Themen. Wir können darüber streiten, ob im Coaching der Rahmen dafür geschaffen wird, ob diese Perspektiven selbstständig, oder durch inhaltliche Impulse von außen gefunden, angereichert und beeinflusst werden.
Darüber hinaus frage ich mich, ob ein Coach es nötig haben sollte, die im Coaching entstehende “natürliche” Hierarchie, künstlich mit Sprache zu initiieren. Oder ob bei besonders intelligenten bzw. berechnenden Coaches vielleicht sogar Kalkül dahinter stecken könnte.
Immerhin werden einige Folgeerscheinungen von gesellschaftlichen Entwicklungen bedient, die auf unbewusster Ebene sehr mächtig wirken. Auf der einen Seite leben wir in einer hochglobalisierten und damit weltweit vernetzten Gesellschaft. Ob soziale, politische oder wirtschaftliche Fragen, die voranschreitende Komplexität und Vielschichtigkeit führte und führt dazu, dass wir viele Prozesse in ihrer Gesamtheit gar nicht mehr nachvollziehen und damit verstehen können. Nehmen wir beispielsweise das Handy, dessen Einzelteile auf der ganzen Welt verteilt produziert und die Rohstoffe wiederum an anderen Orten gewonnen werden. Die Möglichkeit bei einem Defekt etwas selbst auszutauschen, ist nur wenigen Menschen vorenthalten. Die meisten stehen auf dem Schlauch, sind hilflos und brauchen die HILFE von externen spezialisierten Dienstleister*innen.
Auch die globalen Probleme, wie die Umweltverschmutzung und die damit verbundene Nachhaltigkeits-Debatte, kann von einem einzelnen Menschen in dessen Komplexität nicht erfasst werden. Wollen wir uns ein Bild machen, sind wir darauf angewiesen, dass sogenannte “Experten” (ebenfalls ein Begriff, der bei mir in Ungnade gefallen ist) die Probleme zusammenfassen, vereinfachen und auf eine verständliche Art und Weise darstellen. Die Darstellung dieser Thematiken wiederum, konsumieren die meisten Menschen aus unterschiedlichen Medienformaten. Egal welche Medienformate wir heranziehen, ALLE sind zwangsläufig perspektivisch. Allein die Fragestellung oder Überschrift, die ein*e Autor*in auswählt, lenkt die Aufmerksamkeit auf eine Auswahl an Quellen, die zu deren Beantwortung herangezogen werden. Auf gezielte Meinungsmache von Lobby- und Interessensgruppen möchte ich jetzt nicht eingehen. Wer sich dafür interessiert, schaut das folgende Video:
Einige Menschen schlussfolgern, dass sie gar keine Medien mehr konsumieren, da das, was sie sehen und hören sie “Eh nur runterzieht.” In meinen Augen ein weiteres Indiz für die sich ausbreitende Verunsicherung und vermeintliche Hilflosigkeit in der Bevölkerung. “Was soll ich als Einzelne*r schon tun?” Eine immer häufiger auftauchende Frage, die widerspiegelt, dass diese Menschen das Bewusstsein für die eigene Wirksamkeit verlieren oder verloren haben. Die immer wiederkehrende Konfrontation mit globalen Riesen-Problemen wie Kriegen, Hungersnöten oder Klimakatastrophen und der damit verbundenen Ohnmacht des oder der Einzelnen führt dazu, dass das Gehirn lernt, dass es “Nichts” wirklich beeinflussen kann.
Da unser Gehirn darüber hinaus permanent nach Mustern sucht, die es schon kennt, vergleicht es eben auch globale und individuelle Probleme, wendet dieselben Bewertungskriterien an, um dann auf ähnliche Strategien zurückzugreifen. Hat ein Mensch also gelernt, dass er wenig bis gar nichts im außen beeinflussen kann, wird er ähnliche Strategien auf Themen, die im Innern auftreten, ebenfalls anwenden.
Wir erleben sowohl online, als auch vor Ort viele verunsicherte Menschen, die am liebsten ein Heilsversprechen in 3 Tagen hätten. Und auch wenn ich jetzt interpretiere, nehme ich an, dass es bei anderen Anbietern von Seminaren in der Persönlichkeitsentwicklung und NLP nicht anders aussieht.
Die Frage, die sich Anbietende im Kontext persönlicher Entwicklung stellen müssen , sobald ein*e potenzielle*r Teilnehmer*in Kontakt aufnimmt: “Gebe ich ihr oder ihm das, was sie oder er will, oder das was er oder sie in meinen Augen braucht?” Wenn man sich dafür entscheidet, den Menschen das zu geben, was sie wollen, sind sie eher bereit auch dafür Geld auszugeben. Fatal im Bereich der persönlichen Entwicklung. Dann wird ein Seminar schnell zu einem Rahmen für Selbstbeweihräucherer*innen, die eigentlich nicht an Entwicklung, sondern an Bestätigung und Anerkennung interessiert sind.
Entscheide ich mich dafür Teilnehmenden das zu geben, was sie in meinen Augen brauchen, mache ich mich potenziell zur Projektionsfläche ungeliebter Schattenseiten. Öffne aber gleichzeitig Räume oder Büchsen (der Pandorra), die Entwicklung befeuern. Ein System gerät ins wanken, wird durcheinander gewirbelt und findet zwangsläufig wieder in eine NEUE Stabilität. Gleichzeitig vergraule ich mir damit zahlende Teilnehmer*innen.
Ein Hinweis, dass sich ein*e Trainer*in oder Coach noch nicht mit dieser Frage oder Perspektive auseinandergesetzt hat, ist die Formulierung “Ich helfe dir…”. Die Formulierung schlägt exakt in die Kerbe “Ich gebe dir, was du selber glaubst zu brauchen,” was letztendlich nur die Opferidentität und damit verbundene Abhängigkeit im Außen fördert.
Ein netter Nebeneffekt des authentischen Weges der wirklichen Entwicklung ist, dass in deinen Seminaren nur Menschen sitzen, die sich auch wirklich entwickeln wollen.
Alles Liebe
Malte