Und schon wieder hat mich ein neuer “Freund” bei Facebook hinzugefügt. Weder kenne ich seinen Namen, noch habe ich eine Assoziation zu seinem Foto. Also schreibe ich: “Hey, kennen wir uns und wenn ja, woher?” Die folgende Antwort habe ich schon erwartet. Eine Sprachnachricht in der ich freudig erregt geduzt und begrüßt werde und billiges pseudo-Pacing betrieben wird. “HALLO Lieber MALTE, einen ganz fabelhaften und grandiosen Mittwoch wünsche ich dir, hi.” Darauf hin noch ein Wink zu Weihnachten “Helfende Elfe & Weinachts-Phillip” und der Versuch mit Humor irgendwie Sympathie zu erzwingen.
Was dann folgt ist ein Geschenk-Angebot, meist ein kostenloses Coaching, dass nur dazu dient, mir ein hochpreisiges Produkt anzubieten. Dieses Geschenk würde ich nur dann abschlagen, wenn ich “ein Mensch bin, der nicht erfolgreich sein möchte,” und “ein Mensch der nicht vorankommen will im Leben und lieber auf der Stelle tritt.” Prospecting wird das genannt und ist eine gängige Form der Neukundengewinnung.
Wunderbar wie diese “High-Performance-Coaches,” “Legend-Seller” und “Online-Marketer” den Ruf von seriösen Coaches und Trainern in den Dreck ziehen. Leicht wäre es jetzt, und das habe ich bisher auch immer so gemacht, eine simple Nachricht zurückzuschreiben, auf die Lächerlichkeit hinzuweisen und eventuelle Defizite in den Basics des Beziehungsaufbaus (Rapport). Und gleichzeitig schwang bei mir die Frage mit, warum mich die ganze Aufmachung so stört – Stichwort Projektion und abgelehnte Schatten. Kurzfristig entschied ich mich, einfach mal so ein Angebot anzunehmen.
Das “Angebot” kam von Marina (Name geändert), die in einer freudig erregten Sprachnachricht fragte, ob ich auch Selbstständig sei, weil sie es ja auch sei und wir ja von einem Austausch profitieren könnten. Als ich ihr wohlwollend antwortete, gab es für sie nur ein Ziel: meine Telefonnummer. Ein Gespräch am Telefon ist persönlicher und ich kann schnell und gezielt auf Einwände eingehen. Ich gab sie ihr, woraufhin wir einen Termin für den Austausch ausmachten. Der Austausch solle allerdings nicht mit ihr, sondern mit der “Kompetenzbombe” Simion stattfinden, woraufhin ich verdutzt fragte, was das denn jetzt solle. Immerhin bin ich interessiert an einem Austausch mit ihr, und nicht mit irgendeiner Kompetenzbombe. Nachdem ich ihr sagte, dass ich wenn nur mit ihr reden würde, lenkte sie ein.
Der Call
Bevor der Call stattfand fuchste ich mich in die Social-Media-Auftritte des dahinterstehenden “Unternehmens” ein und studierte die transparent dargestellte Philosophie (wenn man sie denn so nennen mag). “ICH VERKAUFE ALLEN ALLES”; “WIR LEBEN DIE WERTE DER SAMURAI” – nur zwei mit Testosteron aufgeladenen Auswürfe der dortigen Köpfe. Auf jeden Fall wusste ich ziemlich genau, was auf mich zukommen würde. Ich kannte die Strategie: Problembewusstsein, Lösungsbewusstsein, Lösung. Ich kannte die Masche: Immer die Oberhand im Gespräch behalten und den potenziellen Kunden für dumm verkaufen. Und ich kannte die Menschen dahinter: Jung, leichtgläubig, energetisch aufgeladen.
Der Austausch begann mit einer Ansage von Marina: “Jetzt liefere ICH dir Content, weil wir dich nach vorne bringen wollen. ICH coache dich jetzt, damit du MEHRWERT bekommst, um direkt durchzustarten.” Das habe ich zwar erwartet, allerdings wollte ich in eine ganz andere Richtung. Ich machte ihr also klar, dass wenn ich ein Coaching gebucht hätte, auch gerne von ihr nach vorne gebracht worden wäre, das allerdings nicht der Fall ist und wir uns deshalb jetzt austauschen. “Pass auf,…”, “Was du bisher noch nicht verstanden hast…”. Sie versuchte es mit allen Mitteln, bis das erste mal echte Resignation aufblitzte. “Wir können es auch lassen. Wenn du nicht voran kommen willst…”
“Marina,” rief ich schon fast in mein Mikrophon “du hast mich noch nicht einmal wirklich zu Wort kommen lassen, geschweige denn gefragt, was mich bewegt, was für ein Mensch ich bin und welche Werte ich vertrete.” Ich machte ihr klar, dass der ganze Auftritt in mir etwas ausgelöst hat, das ich förmlich die Energie und das Testosteron rieche, das in ihrem Stall versprüht werde und ich gerne mehr über die Menschen, die dort hinter stecken erfahren würde. Kurzerhand nahm sie ihren Laptop und führte mich durch das Büro, in dem der ein oder andere in schnieken Anzügen mit Krawatte und Weste Pikfein Sprüche klopften. Das ging ca. 15 Minuten so, bis ich mich entschied, das Gespräch umzudrehen.
Ich fragte sie, ob sie bewusst immer wieder dieselben hypnotischen Formulierungen (Präsuppositionen, Imperativformulierungen und unzulässige Kausalverkettungen) benutzen würde. “Ehh, nee, das mache ich eher intuitiv.” Danach fragte ich sie, ob ihre Chefs die hypnotischen Formulierungen ausgewählt hätten, weil sie besonders gut funktionieren würden. Wieder reagierte sie verwirrt, dabei hätte sie nur in das vor ihr liegende Skript gucken müssen, was ich da gerade tue (Problembewusstsein schaffen).
“Wie wäre es für dich, Marina,” ich startete die nächste Phase – Lösungsbewusstsein, “aus allen hypnotischen Mustern gezielt diejenigen auszuwählen, die am Besten zur jeweiligen Situation und Kunden passen.” “Wie wäre es, gekonnt mit Sprache zu spielen und gleichzeitig gezielt auf die Bedürfnisse und Werte deines Gegenübers einzugehen.” Ich dachte echt, ich gehe zu weit und sie würde es checken – weit gefehlt: “Ja, das wär ja richtig super.”
Als ich ihr dann klar machte, dass sie das in unseren NLP-Ausbildungen lernen würde (Lösung) und sie tatsächlich sagte, dass sie total gerne NLP lernen würde, deckte ich auf, was ich da gerade getan hatte und schenkte ihr ein Coaching, nachdem ich sie noch nach der Beziehung zu ihrem Vater fragte und ihr Kinn auf den Bauch klappte.
Verkaufen ist wichtig
Ja in der Coaching-Branche ist es wichtig verkaufen zu können und Geld zu verdienen. Gleichzeitig ist die Verlockung viel Geld in kürzester Zeit zu verdienen, auch wenn das heißt über Leichen zu gehen, wahnsinnig groß. Gerade in einem Umfeld, das als Resonanz- oder Echokammer wirkt.
Vertraut eurem Bauchgefühl bei der Suche nach Trainern oder Coaches, lernt sie als Mensch kennen, nehmt sie wahr spürt hin, ob sich die Verbindung richtig anfühlt.
Denn: wenn das Produkt gut ist, braucht es keinen Verkauf mit ALLEN Mitteln.
Dein Malte Niessing
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